Die Figur der ästhetischen Indifferenz

Apr 20, 2007

Die Problematik der ästhetischen Indifferenz
Ist es mein Unvermögen, wenn mich beim Setzen von Notenköpfen, der Entscheidung für einen rhythmischen Wert und der Ausarbeitung des formalen Aufbaus hemmendes Unbehagen befällt? Wenn dieses Unbehagen so groß wird, dass das Komponieren ganz in Frage gestellt wird? Wenn der Zustand von Vielfalt mein Schaffen aporetisch unterwandert? Ja und Nein. Ja, weil ich dem hemmenden Gefühl einer Austauschbarkeit und Beliebigkeit meines Schaffens in einem solchen Moment der Bewusstwerdung nicht gewachsen bin und keine klingende Alternative zu geben weiss. Nein, weil ich mich den herrschenden Werten der Gesellschaft nicht entziehen kann. Schaut man sich ein wenig um, kann in unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern Beliebigkeit und Austauschbarkeit – Indifferenz – konstatiert werden. Es handelt sich um ein kulturelles Phänomen.
Die Beschäftigung mit der Figur der Indifferenz führte mich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Theorien und Konzepten. Erst die Nähe zu wissenschaftlichen Weltbeschreibungsmodellen ermöglichte es mir, ästhetisch konstruktiv mit der Figur der Indifferenz umzugehen. Diese theoretischen Auseinandersetzungen sind zum Ausgangspunkt meiner künstlerischen Produktion geworden, und sie werde ich im Folgenden nachzeichnen. So ist dieser Beitrag als ein Grenzgang zwischen der Kunst und der Wissenschaft zu verstehen, wobei ich immer aus der Position eines Komponisten schreibe und nie aus der Position eines Wissenschaftlers. Dieser Artikel erhebt niemals den Anspruch, eine Beschreibung oder Analyse der komplexen Zusammenhänge von gesellschaftlichem Pluralismus, Kunstproduktion und ästhetischen Bewertungen zu sein. Aus meiner Perspektive als Komponist versuche ich nachzuzeichnen, welche Überlegungen meiner künstlerischen Arbeit zur ästhetischen Indifferenz zugrunde liegen. Meine Ausführungen erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit und ebenso wenig auf eine Lösung des Dilemmas. Dennoch hoffe ich, mich damit diskursiv in alternative künstlerische Modelle einfügen zu können, und, zusammen mit den anderen Beiträgen dieses Buches, die Problematik generell bewusster zu machen. 
Die weitreichende Recherche zur Situation der heutigen Komposition führte immerhin dazu, dass mir klar wurde, wie ich zurück zur Kunstproduktion gelangen könnte.