Dissonanz Nr. 95
Freiheit und Gleichgültigkeit
Andreas Fatton
Patrick Frank Konzertinstallation ‚Limina’ in der Basler Voltahalle (19./20. Mai. 2006)
Die Konzertinstallation Limina, als Zusammenarbeit mit der IGNM in der Basler Voltahalle aufgeführt, stellt im Werk des Komponisten Patrick Frank Teil eines grösseren Projektes (projektreihe traute, Teilprojekt limina) dar, das sich künstlerisch und theoretisch mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Kunst im weiteren, und deren postmodernen Grenzbereichen von Freiheit und Gleichgültigkeit im engeren Sinne auseinandersetzt. Limina hinterlässt einen wutentbrannt oder im Zustand musikalischer Erleuchtung – keinesfalls aber indifferent. Warum? Weil es einen an einer Stelle trifft, wo man es nicht erwartet. Weil man Strukturen, die über vier Stunden hin angelegt sind, nicht überblicksartig erfasst. Weil man blind und taub in einer ‚black-box’ sitzt und beschallt wird, als hilflose Dechiffriermaschine, die hochkomplexe analytische Aufgaben erwartet, aber ein gleichnishaftes Rätsel gestellt bekommt. Trocken und unvermittelt wird einem der Boden unter den Füssen entzogen: tunlichst nimmt man die angebotenen Sitzkissen mit. Aus vier Räumen setzt sich die begehbare Installation zusammen (Bühnenbild: Michel Schranz, Licht: Markus Brunn). Aus der Konstellation und Verteilung der acht Interpreten (und der Zuhörer) und einer teilweise der Aufmerksamkeit entgleitenden Lichtsteuerung ergeben sich zeitlich-musikalische Überlagerungszustände, die keineswegs nur aleatorischer Natur sind, sondern einem systematischen zeitlichen Konstruktionsplan folgen. Die Aktionsmuster der Lichtflächen folgen in den einzelnen Räumen unterschiedlichen zeitlichen Abläufen, stehen jedoch nach jeweils 68 Minuten in einem identischen Zustand. Diese 68 Minuten beenden damit auch immer einen musikalischen Zyklus, der insgesamt viermal durchgeführt wird. Ausgesprochen gewaltfrei zeigt sich die Musik. Geprägt von Einzelaktionen fügt sie sich durch die akustische Durchlässigkeit der verschiedenen Räume zu einem übergreifenden Klangraum, indem man reflexartig in einem Modus meditativer Rezeption schaltet. Die immer wieder neu formierten Kleinensembles (Klarinette, Schlagzeug, Flöte, Violine, Posaune, Cello sowie ein Synthesizer und Elektronik) lassen sich also aus unterschiedlichen Distanzen anhören, wie sie selbst auch unterschiedliche musikalische Distanzen erzeugen. Eine besondere Stellung im Klangbild nehmen die Einwürfe des Gamma-Synthesizers ein, dessen Klanglichkeit in einer speziellen Spreizskala gehalten ist. Die Polarität verhaltener Liegeklänge zu den Rankenfiguren einzelner Instrumente ist nur scheinbar einfach zu greifen, man sucht während den ersten Wiederholungen nach dem kompositorischen Kern. Limina bietet bewusst keine ‚schnell konsumierbare ‚Message’, sondern gezielte Unterfütterung, auf die ein reizgewohnter Zeitgenosse mit Schwindel und Irritation reagiert. Hinzu kommt, dass die ‚Dokumentation’ als theoretisches Fundament in der Form eines Symposium-Bandes erst später publiziert werden soll. Wie sich das von einem Werkjahr der Christoph Delz-Stiftung geförderte Projekt weiter entwickelt, ob die reflexiven Impulse versanden oder nicht, wird sich weisen; es zeugt zumindest von grossem Wagemut.