Projekt Limina

Apr 20, 2007

Werkeinführung/Pressemitteilung

Projekt Limina: Selbstreflexion von Kunst heute
Das Projekt Limina beinhaltet je zwei voneinander getrennte ästhetische (die KONZERT-INSTALLATION LIMINA und ACT) und theoretische (das Symposium und das im Pfau-Verlag erschienene Buch) Auseinandersetzungen mit dem Thema Indifferenz. Es besteht jedoch kein strukturierter Sinnablauf der verschiedenen Bestandteile des Projektes die in einem einheitlichen Ergebnis münden. Vielmehr wohnen die Zuschauer über eine gewisse Dauer einem Ort bei, der das Thema Indifferenz heterogen ins Zentrum rückt. Sowohl das Projekt Limina als Gesamtkonzept als auch die Konzert-Installation Limina als ein Bestandteil des Projektes widerspiegeln und inszenieren Liminalität auf unterschiedlichste Art und Weise. Während der Projektzeit finden Vorträge und Diskussionen von verschiedenen Vertretern aus der Soziologie, Philosophie und der Kunst statt, zu denen parallel Aufführungen (KONZERT-INSTALLATION LIMINA und ACT) stattfinden. 
(Text: Patrick Frank)
Das interdisziplinäre Musikprojekt behandelt durch Musik, Tanz und eine Raum-/Lichtinstallation Themen, die im Zusammenhang mit postmodernen Positionen und vor allem deren Überwindung stehen: Redundanz, Wiederholung, Beliebigkeit. Neben diesem performativen Ereignis finden Diskussions- und Vortragsveranstaltungen statt und erscheint eine Publikation, die sich mit aktuellen Fragestellungen zum Verhältnis von Kunst und Gesellschaft befassen. (Text: Kulturstiftung des Bundes)

ACT
In Act wird heisse Luft produziert. Striptease verschmilzt mit Playback-Concert, Luftgitarrensolo mit Zaubertrick. Zwei Tänzerinnen bauen aus ihren Koffern eine Bühne auf und verführen das Publikum. Die kühle Blonde trifft auf ihr Gegenstück. Eine Ikone reproduziert sich und wird so ihrere Einmaligkeit beraubt. Sie ist in der Synchronität ihres Auftritts in zwei Versionen aufgeteilt und bildet eine Reihe, die sich ins Publikum fortsetzt. In einen Crescendo von musikalischen Versatzstücken streifen sie Oberflächen von sich, ohne sich je ganz zu entblössen.

Die Bühne ist eine Jukebox die ein Musik- und Tanzstück nach dem anderen ausspuckt. Die Hits und Posen reihen sich aneinander und bilden eine Parade, die sich immer schneller ums Publikum dreht. Eine Tanznummer multipliziert sich mit der nächsten, bis ein Produkt der stetigen Überstimulation entsteht, das im unabwendbaren Exzess der Uniformität endet. Um diesen Punkt zu erreichen wird das Publikum mit allen Tricks des Showbusiness angeheizt, vom Hintergrundapplaus bis zur Rauchmaschine wird jede mögliche Form von Einflußnahme durchgespielt.Ziel ist es alltägliche Bewegungen im Rampenlicht derart aufzuladen, dass sie ihre ursprüngliche Bedeutung verlieren und zum reinen Showeffekt werden. Durch die Repetition und Transformation der Bewegungsabläufe wird so die verborgene Unheimlichkeit im Körper freigelegt.

Symposiums-Abstracts

Prof. Dr. Peter Gross
Singuläre Kodes oder kulturelle Vielfalt?
Die Nachwirkungen der Erlösungssemantik in der Kunst.
Die Diskussion über gute Kunst ist geprägt von der Erlösungssemantik. Diese verlangt Definitives, Endgültiges. Noch die Unterordnung ästhetischer Kriterien unter Vermarktungsgesichtspunkte und Preisrekorde wiederspiegelt diese Sachlage. Aber was lässt sich dem Hang zum Prinzipiellen und Endgültigen entgegensetzen?
Prof. Daniel Fueter
Über die Anschauung und das Musikhören
Je vermittelter unser Zugriff auf die Welt wird, je komplexer die Vernetzungen, in den wir uns bewegen, je hilfloser wir uns als Individuen dem Allgemeinen ausgeliefert sehen, desto nötiger ist es, sich der Begegnung mit dem Einzelnen auszusetzen: sei es im Berufsleben oder in den privaten Zusammenhängen, die wir geschaffen haben, und natürlich in den Freiräumen, die unsere Agenden zulassen.

Prof. Isabel Mundry
Welche Musik? Welche Gesellschaft? – einige kreisende Gedanken

Musik ist ein vielfach gesplitterter Begriff. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, Musik zu inszenieren, zu rezipieren und zu komponieren, könnte man meinen, dass eine verbindliche Verständigung über Musik unmöglich sei und dass jeder kompositorischen Entscheidung der Eindruck von Beliebigkeit anhaften würde. Dennoch komponieren wir und meinen, musikalisch etwas entdecken und aufdecken zu können, was in dieser Weise noch nicht gesagt worden ist und deshalb von möglicher Bedeutung sein könnte. Anhand einiger Takte aus einer eigenen Komposition möchte ich beschreiben, wie sie sich verorten, welche Erfahrungen ihr eingelagert sind, musikgeschichtliche, gegenwärtige, innermusikalische und außermusikalische. Und schließlich will der Vortrag der Frage nachgehen, ob und welche Idee eine Musik von ihren Hörern hat.

Dr. Harry Lehmann
Postmoderne und Indifferenz



Indifferenz war das Zeichen unserer Zeit. Sie definierte in den letzten zwei, drei Jahrzehnten die Tiefengrammatik der westlichen Gesellschaft und diente ihr als Letztbegründung und Abschlußgedanke zugleich. Aber nicht nur in den sozialen Verhaltensmustern, sondern auch in den kulturell wirkungsmächtigen Strömungen der zeitgenössischen Kunst und Philosophie besaß die Idee Konjunktur. Wie läßt es sich erklären, daß gerade dieser Gedanke das historische Bewußtsein faszinieren konnte? Was spricht dafür, daß heutzutage »Indifferenz« als Leitidee ihre Strahlkraft einzubüßen scheint? Wie wirken sich diese Prozesse auf das Selbstverständnis der zeitgenössischen Kunst aus? Und vor allem: Welche Rolle spielte hierbei die ästhetische Indifferenz? Mit diesen Fragen ist der Problemhorizont des Vortrags abgesteckt. Anliegen dieser Untersuchung ist es, zu zeigen, daß »Indifferenz« nicht der Schlußstein aller Aufklärung ist, sondern daß eine Moderne, die selbstreflexiv wird, auch zu diesem ›Wert‹ noch einmal Distanz gewinnen kann. Auch wenn man aus guten Gründen auf Letztbegründungen aller Art verzichtet, so muß man nicht zwangsläufig die ›Indifferenz‹ zu einem positiven Wert verklären, was für das Weltbild der Postmoderne konstitutiv ist. Gefragt sind vielmehr Denkmodelle und Theorieformen, die es erlauben, Indifferenz als Positivwert zu neutralisieren.

Presse

Positionen 71, Mai 07’ – LIMINA: Zur Indifferenz von Kunst – Darja Stocker

In seinem Gesamtkunstwerk LIMINA, das am 16. bis 18. März im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau uraufgeführt wurde, befasst sich Patrick Frank mit dem Thema der Indifferenz.

„Wenn alles gleich behandelt wird, verliert man als Künstler seine Identität“, sagt Patrick Frank. Woran soll man sich reiben, wenn alles möglich ist? Ist Kunst beliebig geworden? Dieser Fragen ging er in der Fachliteratur nach, las unter anderem Texte von Peter Gross und Harry Lehmann, die auch an dem zum Projekt gehörenden Symposium teilnahmen. Gäste aus der Soziologie, Philosophie und künstlerischer Berufspraxis referierten hier zum Begriff der Indifferenz. Zugleich sind sie die Autoren des ebenfalls zum Projekt erscheinenden Buches.

Es gehe ihm nicht um Gleichgültigkeit des Einzelnen, sagt Frank, sondern darum, dass fehlende Wertmassstäbe Kommunikationen unmöglich machen. In einer Situation der Indifferenz, in welcher vor allem der Markt die Grenzen setzt, in der alles, was man über ein Kunstwerk sagt, vom Gegenüber als subjektive Wahrnehmung und somit nicht kritisierbar bewertet wird, führt der Meinungsaustausch lediglich zu einem Aneinanderreihen von Statements. Dass diese Muster sich auch in der Kunst widerspiegeln, bestätigte im Symposium die Komponistin Isabel Mundry.

Lösungen kann Frank nicht präsentieren, vielmehr möchte er durch seine Inszenierung der aufeinanderprallenden künstlerischen Ansätze den Diskurs über die Indifferenz ankurbeln: so auch durch die Konzert-Installation LIMINA und das Tanz-Event ACT.

In der hohen weissen Halle stehen verschachtelt schwarze Wände, durch deren Gänge und Räume die ZuschauerInnen sich frei bewegen können. Auf dem Weg begegnet man den InstrumentalistInnen, die, an einer Wand stehend, in einer Nische sitzend Klanglinien erzeugen. Je nachdem, wohin man sich begibt, nimmt man die Musik aus einer anderen Hörperspektive wahr. Von einem Platz zum nächsten gehend erzeugen die BesucherInnen mit dem Geräusch ihrer Schritte ihren Beitrag zum Gesamtklang. Jemand zieht die Schuhe aus, als wäre ihm sein Mitwirken zu dominant geworden. Wer länger an einem Ort verweilt, merkt, wie das Licht seine Intensität verdichtet und wieder reduziert. In den Übergangsphasen ist man verwirrt, weiss nicht, hat man sich an die Dunkelheit gewöhnt, ist es heller geworden, oder hatten die Augen grad mal weggehört? Am deutlichsten wird das Zusammenspiel zwischen Licht, Raum und Musik in der Blackbox. Hier nimmt die Helligkeit ab bis zur absoluten Finsternis, der Klang der Instrumente umrahmt einen gleichmässig. Der abgeschlossene Raum simuliert eine Art Abschottung gegen die Aussenwelt. Ausser in der Blackbox lässt die Installation kaum zu, ins Nirgendwohin abzudriften. Dank ihrer Vielschichtigkeit sorgt die Komposition, dass man aktiv wahrnimmt. Frank inszeniert, was seiner Meinung nachdie grundlegendenVorraussetzungen zur indifferenten Kommunikation ist: Eine Welt, die jede Freiheit zulässt und einem trotzdem ständig zur Wahl auffordert. Jede(r) BesucherIn muss auch für sich entscheiden, ob er /sie zum Tanz-Event ACT hinübergeht oder nicht.

ACT findet zweimalpro Abend im Raum daneben statt. Seine harten Elektro-Bässe dringen zur Konzert-Installation hinüber, ver- und zerstören die Illusion dieser entrückten Welt. Was sich hier abspielt ist „etwas, das beabsichtigt beim Publikum maximale Wirkung zu erzielen, das Publikum mit allen Tricks des Showbusiness anzuheizen, ein Exzess der Uniformität“ (A.Bachzetsis, Projektleiterin ACT) Der neue Begriff des „Popporno“ würde passen, für eine Stripteaseshow, die macht, was der Kapitalismus von der Kunst erwartet: Zu legitimieren, dass Menschen nicht mehr nur in Werbung und Erotikbranche, sondern auch in der Kunst zu Objekten gemacht werden, in dem man sie zu Abbildern von Körpern degradiert. Der Wechsel von der Konzert-Installation zum ACT führt sowohl physisch als auch psychisch zu einem Bruch, den man zum Anlass nehmen kann, über Indifferenz zu diskutieren.

Das Projekt sei wohl gerade deshalb avantgardistisch, weil es mit den Mitteln der Zeit den Diskurs zu eröffnen ersuche, meint der Philosoph Harry Lehmann

Sächsische Zeitung, 19. 3. 07 – Wohltat für die Sinne – Anna Hoben
„Es ist ein Experiment“, hatte der Schweizer Komponist Patrick Frank vor der Dresdner Premiere seiner Konzert-Installation „Limina“ gesagt. Das Experiment ist gelungen. Visuelle, musikalische und räumliche Abläufe bilden ein Gesamtkunstwerk, das im Zuhörer einen Zustand äusserster Konzentration und Wachsamkeit hervorruft.

Schwarze Stoffbahnen durchziehen den Raum im Festspielhaus Hellerau, teilten ihn in mehrere kleine Räume, in denen verteilt die Musiker sitzen. Von Nahem ist der Ton einer Flöte zu hören, aus dem Nebenraum setzt die Klarinette einen Halbton darauf, dann löst sich die Spannung in einer Oktave auf. Von Weitem tönt eine Posaune wie ein Schiffshorn. Zehn Minuten Musik sind beim Cello in einem einzigen Takt notiert. Weil die Dramaturgie so langsam vergeht, spielen die Musiker mit Stoppuhr. Musikalische Strukturen sind auf lange Zeiträume hinweg angelegt, wie auch das Spiel mit Hell und Dunkel. Kaum merklich ändern die Lichtquellen ihre Intensität. Es passiert wirklich nicht viel. Zum Glück, möchte man rufen. Heute haben sich die Sinne an Reizüberflutung gewöhnt. Da ist ‚Limina’ wohltuend für Augen und Ohren.

Mit Sitzkissen ausgestattet durchwandern die Zuhörer und Zuschauer die dunklen Räume, hören das Geschehen mal aus dieser, mal aus jener Perspektive. In der Mitte befindet sich eine sieben mal sieben Meter grosse Black-Box. Mit 20 Wildfremden eine halbe Stunde im Stockdunkeln eingesperrt zu sein, ist vielleicht nicht Jedermanns Sache. Doch intensiviert es die akustische Wahrnehmung.

Dresdner Neueste Nachrichten, 14. 3. 07, Ankündigung – Über die Krise der Künste – Peter Zacher
Konzert-Installation „Limina“, Tanz-Performance „Act“ und Symposium – Vorschau auf ein spannendes Wochenende im Festspielhaus Hellerau

Am Wochenende findet im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau ein Projekt mit dem Namen „Limina“ statt. Limina ist der Plural von limen, und limen ist das lateinische Wort für Schwelle, gelegentlich auch Eingang oder Anfang. Angekündigt wird das Ganze als interdisziplinäres Musikprojekt von Patrick Frank. Frank, 1975 in Rio de Janeiro geboren, hat Komposition studiert, sich intensiv mit elektroakustischer und Computermusik befasst und lebt als Komponist und Projektentwerfer in Zürich. Er nennt als zentralen Gedanken von „Limina“ das Problem der „Selbstreflexion von Kunst heute, vor dem Hintergrund, dass eine verbindliche Materialdiskussion nicht mehr existiert und die ästhetische Gegenwart in unüberschaubare Strömungen und Sprachen zerlegt ist.“ Etwas einfacher ausgedrückt bedeutet das, im regellosen Chaos der Künste ein Ordnungsprinzip oder wenigstens eine Orientierungshilfe zu suchen.

Es gibt zwei künstlerische Produkte, zum einen Franks Konzert-Installation „Limina“ mit visuellen, räumlichen, musikalischen und zeitlichen Abläufen, mit Bewegungen im Licht und in der Musik, die jedoch dem Ablauf keinen Sinn geben. Begehbare Übergänge und räume führen nirgendwo hin. Der Besucher kann sich frei bewegen und beliebig lange verweilen. Zum anderen findet eine Tanz-Performance „Act“ statt. Hierzu äussert sich Alexandra Bachzetsis, die im Projekt mitwirkt: „In Act wird heisse Luft produziert. Striptease verschmilzt mit Playback-Konzert, Luftgitarrensolo mit Zaubertrick… Die Bühne ist eine Juke-Box, die ein Musik- und Tanzstück nach dem anderen ausspuckt.“

Ausserdem gibt es in Hellerau ein Symposium, das den brisanten Titel „Beliebigkeit in der zeitgenössischen Kunst“ trägt. Brisant ist es vor allem desshalb, weil Beliebigkeit nur ein anderes Wort für Orientierungslosigkeit der heutigen Künste ist. Referate und offene Diskussionen werden sicher nicht ein ende dieser Beliebigkeit bewirken, aber vielleicht wenigstens Sinn stiftende Akzente setzen.

Förderer

Kulturstiftung des Bundes
Pro Helvetia
Forum Hellerau
Stiftung für Kunst und Kultur der Stadtsparkasse Dresden
STEO-Stiftung
Artephila