Presse
Thomas Meyer, Dissonanz Nr. 85, März 2004 . Musik um Sein und Nichtsein.
Zappenduster wars. Am Ende kehrt man aus der Black Box (War die Musik dort eigentlich zu Ende? Sie klang doch immer noch nach!) in den Konzertraum zurück, in dem man zuvor sass. Der Raum ist wieder intakt, ist hell, nur die Stühle sind umgekehrt, nicht mehr aufs Solistenpodium ausgereicht, sondern auf die erleuchtete Rückwand. Die Leute setzen sich nochmals, richten sich ein, warten, sehen die Wand an, dann einander und schliesslich gehen sie. Ob sie noch applaudieren bei diesem offenen Ende? Vielleicht, aber es ist nicht vorgesehen, nicht wichtig.
Damit kommt das Stück, diese ‚Konzert-Performance‘, zu seinem logischen Ende, das ‚Projekt I‘, Sein/Nichts der ‚Projektreihe für Klangkunst traute‘. Nicht im Dunkel der erloschenen Lichter und der geschlossenen Augen erfährt man das Nichts, sondern erst zenmässig klaren Blicks vor der leeren Wand. Beim Hinausgehen wird einem ein Blatt in die Hand gedrückt, auf dem die Daten zu Erlebtem nachgetragen werden. Von wem die Stücke stammten, die man hörte: von Helmut Öhring (Cayabyab), Gary Berger (zah), Edu Haubensak (Gestes) und Patrick Frank. Wer sie spielte: Rico Gubler, Saxofone; Imke Frank, Violoncello; Sebastian Hofmann, Percussion; Judit Polgar am Gamma-Synthesizer und Gary Berger, Live-electronics. Wer steht dahinter: Michel Schranz, Bühnenbild, und vor allem Patrick Frank, der 1975 geborene Zürcher Komponist, von dem die Idee stammt und der das Ganze realisiert hat.
Zu Beginn hatte man ein ähnliches Blatt erhalten, auf dem Nichts stand. Mit der andert-halbstündigen Performance also hat sich das Blatt mit der Erfahrung gleichsam gefüllt, und diese doppelt gegenläufige Bewegung, hin zur gefüllten Erfahrung, hin zur leeren Wand, macht eigentlich das Wesen von Sein/Nichts aus. In den Worten von Patrick Frank: Das Stück ‚befasst sich mit der Kunstsituation und deren Auflösung auf verschiedenen Ebenen. Ausgehend von der klassischen Konzertsituation – nämlich den Kunstobjekten ‚Interpret‘ und ‚Musikwerk‘ – wird das Objekt im Verlauf der Performance aufgelöst‘.
Es ist der alte Traum der Entgrenzung von Kunst und Musik: Plötzlich öffnet sich die Decke, der Himmel wird über dem Konzertsaal sichtbar, und die Vögel musizieren mit den Orchester-instrumenten. Es ist ein Traum, dass die Kunst aus den ihr vorbehaltenen Räumen ausbricht und mit dem ebenso himmlischen wie irdischen Alltag mischt, auch, dass sie dabei endet und das Hören vielleicht selber zur Kunst, zur Erfüllung wird und nicht mehr so sehr auf ein Objekt gerichtet ist. Dieser Traum wird hier neu dargestellt. Zunächst – mit Öhring – erlebt man eine gewohnte Konzertsituation, dann aber – bei Berger – stürzt die linke Seitenwand um. Ihr Fall ist abgedämpft. Man erschreckt nicht wirklich, ist aber überrascht. Später dann – in Franks erstem Stück für die Situation – gerät die rechte Seitenwand in Schräglage – und deutet an, dass der Fall der ersten kein Unfall war. Nach diesem dritten Stück verschwinden die Musiker, das Podium wird leergeräumt. Was jetzt? In diesem Moment funktioniert die Performance nicht: Eine Stimme bittet aus dem Lautsprecher, das Publikum möge sich bei der beleuchteten Stelle hinausbegeben. Ohne Bühnenanweisung kommt sie also nicht aus; das ist eigentlich schade. An diesem Punkt ist das Ganze nicht so zwingend, als dass das Publikum selber auf diese Lösung käme. (Es ist auch das Manko einer Low-Budget-Produktion, die sich nicht alles leisten kann.)
Von diesem hellen Konzertraum gelangt man nun in die Black-Box, in deren Mitte nur ein leeres Glas steht. Das Publikum setzt sich darum herum, blickt sich an, dann erklingt Musik – Haubensak – von draussen. Eingeschlossen. Die Interpreten: verschwunden. Zur Leere, zum Nichts tendiert die Kunst in dieser Performance: ‚Die Raumsituation um das agierende Kunst-objekt ‚Interpret‘ zerfällt, es selber verschwindet auf visueller und musikalischer Ebene‘, schreibt Frank. Gleichzeitig aber gewinnt das Sein an Intensität, nennen wir es hier, da es um Musik geht: das Hören, die Aufmerksamkeit. ‚Der ‚Zuschauer‘ steht als Mittelpunkt im ansonsten kunstleeren Raum.‘ Er hört Franks eigenes für den Raum.
Allmählich wird es dunkler. Patrick Frank erzählte in einem Gespräch, dass er einst ein Astronomie- und Philosophiestudium begonnen habe, es aber der Musik zuliebe abbrach. Ihn interessierten nicht die Sonne, sondern die endlose Weite des Kosmos. Er studierte in Zürich zunächst Klavier, dann Komposition bei Gerald Bennett und Thomas Müller, jetzt noch Musiktheorie. Etwas freilich von diesen kosmischen Dimensionen – so findet er selbst – steckt auch in seiner Musik, fernab übrigens von jeder Astrologie oder Esoterik. Unter anderem in jenem Gamma-Synthesizer, der, so erzählt er, dem gamma-Faktor der speziellen Relativitätstheorie gemäss gestimmt ist. Das geht schnell ins Extreme.
Ihn interessiert die existenzielle Dimension: Wo bin ich? Wo ist das Sein und das Nichts? Dem spürt er musikalisch nach: künstlerisch-sinnlich. Zwei Jahre hat er an Sein/Nichts gearbeitet, vor- und nachgedacht, Gespräche geführt, weiterentwickelt. Er wagt ein Experiment. Mit der veränderten Konzertsituation soll sich die Wahrnehmung neu orientieren. Im Raum sind die Höhrenden auf sich selbst zurückgeworfen. Das ist nicht ohne Risiko – doch gerade das Risiko, das mit dem ästhetischen Ge- oder Misslingeneine existenzielle Erfahrung birgt, ist in der Neuen Musik vonnöten.
Und nun ist alles dunkel. Nichts für Klaustrophobe. Man hört schliesslich die Klänge von Franks für Nichts – lange elektronische Klänge. Man hört, man weiss um das Sein und das Nichts, die sich hier verwirklichen. Wirklich? Hat auch einige Zweifel, ob es funktioniert? Kehrt eben in den hellen Konzertraum zurück und erfährt gerade hier in diesem Klaren, dass es eben doch funktioniert. Dass die Situation sich aufgehoben hat, das wir Zuhörer zu uns gekommen sind.
Ich geb’s zu: Das klingt alles sehr abgehoben, ist aber eine einfache Erfahrung, die man allerdings erstmals vermitteln muss.