Stiftung Universität Hildesheim
Fachbereich II Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur
Montage als Kritik
Die Theorie zur Montage aus Wenn die Bilder Position beziehen von Georges Didi-Huberman angewandt auf das zeitgenössische Beispiel Freiheit – die eutopische Gesellschaft. Version 2 von Patrick Frank.
Ekaterina Trachsel,
Universität Hildesheim
Textausschnitt (Autorin: Ekaterina Trachsel)
3. Theorieoper – Patrick Frank: Freiheit – die eutopische Gesellschaft. Version 2
„Eine Theorieoper und Kuratorenkomposition von Patrick Frank, im Auftrag der Donaueschinger Musiktage 2015 / SWR 2“ (21), so die Selbstbeschreibung auf der ersten Seite des Programmhefts, das dem Publikum beim Einlass kostenlos ausgehändigt wird. Anhand der ersten Sätze des Abends lässt sich aufzeigen, wie dieses Werk darstellender Kunst die ihm eigene Vielstimmigkeit und Zusammengesetztheit explizit ausstellt und direkt zu Beginn der Aufführung thematisiert:
„Freiheit, die eutopische Gesellschaft, ist eine Theorieoper und eine Kuratorenkomposition, ein Konzert mit dem Ensemble Contrechamps; ein Symposium mit dem Philosophen Slavoj Žižek und dem Autor Lukas Bärfuss; ein Hörspiel mit Roberto Guerra, Susanne Abelein – das bin ich – und Malte Scholz. Freiheit, die eutopische Gesellschaft, ist eine Versuchsanordnung und das Experiment, ins Grobe auszudifferenzieren; ein Plakatmuseum, ein Diskursraum, eine Installation, ein quantitativ und qualitativ erfasstes Kunstprojekt.“ (22)
Die Sprecherin, ganz in Weiß gekleidet, steht auf einer mehrstufigen hohen Bühne an einem Mikrofon. Sie liest aus dem Textbuch auf ihrem Notenständer. Vor ihr ist ein kleines Orchester aufgebaut, hinter ihr sitzen gut sichtbar mehrere Techniker vor Pulten und Computern, über ihr hängt eine große Leinwand von der Decke, auf die mal die Zahl der Toilettengänge des Publi- kums, mal die Körperwerte (Puls, Temperatur u.ä.) des Klavierspielers projiziert werden, und rechts und links der Sprecherin stehen zwei weitere Sprecher. Das Publikum nimmt an Bierbänken platz, es stehen Brezeln auf den Tischen, und die gesamten Wände des Saals sind mit Kopien von historischen und aktuellen Plakaten aus Werbung und Politik gesäumt, die alle mit dem Wort Freiheit werben. Hinter der mehrstufigen Bühne befindet sich außerdem ein Installationsraum, in dem man unter anderem über ein Tablet abstimmen kann, ob die gerade stattfindende Kunst Provinzkunst, Regionalkunst, Kleinstadtkunst, Stadtkunst, Großstadtkunst oder Metropolenkunst ist. (23) Der komplette Text, den die Sprecherin und die Sprecher vortragen, ist im Programmheft abgedruckt. Alle Zitate sind ausgewiesen; jede und jeder Zuschauende kann jederzeit mitlesen, nachlesen, vorausblättern. Man wird außerdem explizit dazu aufgefordert, sich frei zwischen den verschienenden Räumen zu bewegen. Man muss als Besucherin oder Besucher also vom ersten Moment an Entscheidungen treffen – man wählt zwischen verschie- denen Positionen im Raum.
In den folgenden Kapiteln soll die Theorie Didi-Hubermans, wie sie zuvor herausgearbeitet wurde, für die Analyse dieses praktischen Beispiels genutzt werden. Dabei wird die schon zu Beginn formulierte These überprüft. Die Demonstration der Montiertheit von Freiheit – die eutopische Gesellschaft. Version 2 (24) und das in Frage und zur Diskussion Stellen des montierten Materials, der Autorschaft und des Werks sollen beschrieben und untersucht werden. Es wird überprüft, ob diese Kritik, die hier mithilfe der Montage inszeniert wird, über Verfrem- dung funktioniert. Die folgenden Kapitel sind entsprechend dieser Fragestellung in drei Teilen aufgebaut: zunächst soll die Demonstration der Montiertheit fokussiert werden, um in einem zweiten Schritt die Vielzahl der wirksamen Produktivkräfte innerhalb der Montage zu untersuchen, und schließlich wird der Begriff der Autorschaft in Verbindung mit dem Begriff der Verfremdung unter dem Aspekt der Kritik genauer betrachtet.
3.1 Demonstration der Montiertheit
Das Publikum betritt den Aufführungssaal und findet sich umringt von Montage: Die drei hohen Stufen, aus denen die Bühne besteht, erinnern an Linien eines Notenblatts oder an die Story-Boards von Sergej M. Eisenstein (einem Zeitgenossen Brechts) (25) zur Vertikalmontage mit verschiedenen Spuren für Bild, Bewegung, Rhythmus und Musik. (26) Die Bühne gliedert sich sozusagen auf in eine Orchester-Spur (erste Stufe), eine Text-Spur (die Sprecher auf der zwei- ten Stufte), eine Technik-Spur (technisches Team sitzt auf der dritten Stufe) und darüber hängt sogar noch eine vierte Spur von der Decke herunter, die Video-Spur (Projektionsleinwand über der Technik). Die Geteiltheit und Teilbarkeit der Theorieoper spiegelt sich in diesem szenografischen Aufbau: Text, Musik, Technik und Video werden als einzeln erkennbare Materialien der Montage ausgestellt. Bildlich gesprochen, wird hier der Montagetisch als Bühnenbild genutzt und zeigt damit räumlich die Gleichzeitigkeit von Demontage und Montage auf. Die einzelnen Montagematerialien werden in ihrer Unterteiltheit vorgeführt, um im selben Moment aufzuzeigen, dass sie gemeinsam eine große Montage bilden.
Ebenfalls zum räumlichen Grundaufbau des Hauptsaals zählt die Plakatinstallation, die sich über alle drei Wände des Zuschauerraums zieht. Beim Betreten des Raumes fühlt man sich sogleich an einen Parteitag erinnert: Biertische und -bänke umringt von Plakaten. Die Plakate stammen jedoch nicht von einer einzigen Partei, sondern aus völlig unterschiedlichen Quellen und verschiedenen Ländern. Der Betrachter mag das eine oder andere Plakat aus dem Alltag wiedererkennen, was er aber hier in der Gessnerallee sieht, ist etwas anderes: er erkennt nicht lediglich wieder, sondern er sieht Differenzen in der Wiederholung des Begriffs Freiheit auf jedem einzelnen Plakat. Die Benutzung des Wortes wird jedoch nicht reproduziert, sondern demonstriert: Die Plakate wurden nebeneinander an Holzstellwände montiert und werden so nebeneinander stehen gelassen. Die unterschiedliche Verwendung des Wortes Freiheit wird gezeigt, und damit wird gezeigt, dass sich hier etwas zeigt. Das nebeneinander Montieren der Plakate verfremdet jedes einzelne Plakat und löst beim Betrachten eben nicht lediglich ein Wie- dererkennen aus, sondern ein Befremden im Sehen des Bekannten – einen kritischen Blick. Im Sinne Didi-Hubermans löst sich dadurch die Evidenz mehr und mehr auf: Differenz schafft sich Raum. (27) Diese Differenz blitzt sowohl in dieser Plakatinstallation als auch im stufenartigen Bühnenaufbau wieder: das ausgestellte Nebeneinander dieser offenen Montage schafft Raum für eine kritische Betrachtung der Schnittstellen und des Zusammenspiels einzelner Elemente.
Noch während die letzten Zuschauer den Aufführungsraum betreten, beginnt die Ouvertüre. Das Orchester spielt eine sphärisch anmutende, sich wiederholende Melodie, die an die Musik eines DVD-Menüs erinnert. Dazu wird folgender Text gesprochen:
„Freiheit, die eutopische Gesellschaft ist ein durch die Donaueschinger Musiktage – das wichtig- ste Festival für Neue Musik – an Patrick Frank erteilter Kompositionsauftrag; und Frank leitete sogleich als Kompositionsunternehmer die Aufträge an Martin Schüttler und Trond Reinholdt- sen weiter, ein Kompositionsauftrag im Kompositionsauftrag, sowie das hier ein Festival im Fe- stival ist, eine feuchte Theorieoase in der Neuen-Musik-Wüste, subversiv, impulsiv, intensiv, fiktiv, alternativ, primitiv, fakultativ, tentativ.“ (28)
Dieser Textausschnitt beschreibt auf mehreren Ebenen, worum es bei der Aufführung von Freiheit 2 gehen wird, beziehungsweise worum es gerade nicht gehen soll oder kann. In dieser kurzen Textpassage, vorgetragen von der Sprecherin Susanne Abelein, wird dem Zuschauer zum einen der Kontext der Entstehung der Theorieoper erläutert, zum anderen wird der Begriff von Autorschaft thematisiert und zuletzt schließlich zeigt sich hier ein Gestus, der sich durch die komplette Aufführung ziehen wird: ein selbstreferenzieller, und teilweise auch ironisch oder zynisch anmutender Gestus des Sprechens über das Werk, das gerade zur Aufführung gelangt.
Neben dem oben beschriebenen Bühnenaufbau, der die Montiertheit der Theorieoper demonstriert, wird während der gesamten Aufführung immer wieder ganz konkret über die Montiertheit der Theorieoper gesprochen. Freiheit 2 demonstriert ihre eigene Montiertheit mit szenografischen und sprachlichen Mitteln und das Material wird durch die Behandlung als Montage aus Zitaten verfremdet. Dem Zuschauer wird explizit vorgeführt, dass alles was er hier präsen- tiert bekommt, „[…] nur eine lückenhafte Ansicht und nicht das Ganze ist, jene Sache selbst, die das Bild darstellt.“ (29) Freiheit 2 nimmt den Begriff der Freiheit kritisch in den Blick und setzt sich selbst als lückenhafte „Versuchsanordnung“ und als „Experiment“ (30) der kritischen Betrachtung durch den Zuschauer aus.
3.2 Produktivkräfte neu Zusammensetzen
„Mein Donaueschinger Projekt nenne ich „Theorie-Oper“ und strukturiere diese entsprechend in Akten und Szenen. Held dieser Theorie-Oper ist die westliche Auslegung des gesellschaftlichen Wertes ‚Freiheit’. Das Libretto ist meine eigene kleine, unvollständige Kulturtheorie des We- stens aus der Perspektive des gesellschaftlichen Wertes ‚Freiheit’. Die Oper ist ein work-in- progress und wird nach jeder Aufführung weiter entwickelt – in welche Richtung ist noch völlig offen.“ (31)
Die Lückenhaftigkeit von Freiheit 2 wurzelt zum einen in der Behandlung der Materialien als Zitate (Text, Plakate, Musikkompositionen) durch Patrick Frank und zum anderen in der Neu- zusammensetzung von Produktivkräften. (32) Dass jede Produktivkraft ihre eigene Bühnenstufe für sich hat, wurde bereits beschrieben. Doch es gibt noch einige weitere Produktivkräfte, die in Freiheit 2 wirken, die ebenfalls sehr deutlich als solche markiert und zugleich in die Montage integriert werden. Dass Frank seinen Kompositionsauftrag weiterleitet an zwei weitere Komponisten, stellt die Arbeit der Komposition als Produktion aus und damit auch als aufteilbar auf mehrere Produktivkräfte. Des weiteren wird beispielsweise der Pianist als singuläre Produktivkraft und organischer, produktiver Körper ausgestellt, wenn seine Temperatur, sein Puls und sein Blutdruck an die Videoleinwand projiziert werden. Auf derselben Leinwand sind zu einem anderen Zeitpunkt die Klogänge des Publikums (unterteilt in Damen und Herren) als Statistik zu sehen: Urin und Kot, die dabei produziert werden, werden in Litern und Kilogramm aufgeführt. Der Zuschauer, an sich immanenter und unverzichtbarer Bestandteil der Aufführung, wird dadurch als produzierender Körper thematisiert. Später am Abend läuft ein Mann (Trond Reinholdtsen) in eleganter Kleidung mit einem riesenhaften Kopf aus gelber Schaumstoffmasse zwischen den Bierbänken hindurch und kündigt die Produktion einer raumgreifenden Installation und Performance draußen im Innenhof der Gessnerallee an. Im Verlauf der Aufführung erkennt man hie und da musikalische Zitate wieder, es werden Textzitate inklusive der Quellenangabe rechts und links an die Wände projiziert und vieles wird neben einander stehen gelassen. Patrick Franks Montage präsentiert Bild, Musik, Text, Statistik, Theorie, Film und Performance direkt nebeneinander und ineinander verschachtelt. Auch hierzu liefert die Ouvertüre des Abends einen selbstreferenziellen Hinweis, der explizit demonstriert, dass die Vielzahl der Produktivkräfte als Überfülle Teil des Konzepts der Montage ist:
„Vor allem aber ist das Projekt zum Scheitern verurteilt. Es will viel zu viel, es will die Welt erklären, beginnend bei Jesus und in der Zukunft schließend. Es ist alles und nichts, mit eindeutiger Tendenz zum Nichts, der Agonie, des Simulakrums, des Widerkäuens. Es will selbst frei sein, frei von Gattungsschranken, frei von Tonalität und Atonalität, von Musik, von Theorie, von Ernst und Unterhaltung, von Rationalität, von Irrationalität, von gesetzter Weltsetzung; es ist von Freiheit getrieben, gejagt, verfolgt, kurz: es legt bestes Zeugnis unserer Freiheitsparanoia ab.“ (33)
Der inhaltliche Fokus auf den Begriff Freiheit wird hier übertragen auf die Theorieoper als aus verschiedenen Produktionsbereichen und Kunstgattungen komponierte Montage. Das Aufzeigen der unterschiedlichen Produktivkräfte (teils vereint in ein und derselben Person) schafft keine klaren Grenzen, sondern verwischt diese. Auch die Produktivkräfte beziehen in Freiheit 2 als Bild Position und verlieren dadurch ihre singuläre, klar definierte Situierung. Die verschiedenen Produktionsbereiche in Freiheit 2 sind auf eine Weise geordnet, dass sie auffällig und dadurch oftmals befremdlich wirken. Und diese Befremdlichkeit wiederum ist immer auch Kritik: auf Seiten der Produktion bewusst als Verfremdung angelegt, erhält der Betrachter Anlass zum kritischen Denken über Grenzen zwischen Gattungen, Produktivkräften und Produktionsbereichen. Die Schnittstellen und damit auch die Lückenhaftigkeit der Montage fallen im Verlauf der Aufführung gerade dadurch auf, dass die Montage „viel zu viel“ ist. Die Überfülle verschüttet die Lücken nicht, sondern exponiert diese vielmehr und gibt sie dem kritischen Blick preis. Die Tatsache, dass die hier zitierten Textpassagen, dem Publikum in Schriftform vorliegen, und damit jederzeit ebenfalls als Teil der Montage genutzt werden können, ist überdies ein wertvoller Aspekt der Aufführung: Das Programmheft selbst ist nämlich ebenfalls eine Montage-Spur, die jeder Zuschauer individuell zum Geschehen hinzuziehen kann und entweder zeitlich parallel oder versetzt nutzen kann; während des letzten Aktes der Theorieoper ist es dem Zuschauer möglich, zum Text der Ouvertüre zurückzublättern. Der Zuschauer selbst findet sich dabei wieder, wie er ein Material der Gesamtmontage ganz konkret handhabt. Der Zuschauer wird als Produktivkraft also auf mehrfache Weise in die Montage integriert und thematisiert. Die „unvollständige Kulturtheorie des Westens aus der Perspektive des gesellschaftlichen Wertes ‚Freiheit’“ (34) wird im Moment der Aufführung gezeigt, indem gezeigt wird, dass etwas gezeigt wird und zwar im Sinne Didi-Hubermans durch Verfremdung „abgetrennt“ – der kritischen Behandlung durch den Zuschauer als Material übergeben – um die „[…] komplexe dialektische Natur umso besser aufzeigen zu können“ (35).
3.3 Auf Franks Rechnung
„Die Musik tauscht ihre Führungsposition mit dem Thema ein. Die Entmachtung der Musik als leitender Disziplin erlaubt eine Heterogenisierung der Disziplinen. Ihre Auswahl – ob Komposi- tion, Performance, Hörspiel, Podiumsdiskussion, Vorträge, etc. – steht nun unter dem Primat des Themas und muss vom ‚Kuratorkomponisten‘ sorgfältig ausgewählt werden: der Kurator- komponist komponiert somit zunächst künstlerische und wissenschaftliche Disziplinen.“ (36)
In diesem Kapitel soll nun noch einmal eine Produktivkraft im Speziellen untersucht werden: die des Autors Patrick Frank. Frank tritt in allen Texten über und zur Theorieoper klar und deutlich als Autor der Montage Freiheit 2, oder, wie er es nennt, als „Kuratorenkomponist“ auf. Er übernimmt die Verantwortung für das Gesamtprojekt. Frank arbeitet jedoch ganz bewusst Leerstellen in seine Montage ein, die er durch andere produktive, und live-anwesende Autoren und Produktivkräfte ausfüllen lässt. Zum einen holt sich Frank zwei Komponisten hinzu und zum anderen zwei Autoren aus dem Bereich der Literatur und der Philosophie. (37)
Für die Vorträge von Lukas Bärfuss und Slavoj Žižek wird jeweils die komplette Bühne geräumt. Nur ein paar der Techniker bleiben oben an ihren Pulten. Die Bühne ist dunkel bis auf den mittleren Notenständer auf der „Text-Spur“ der Bühne. Die beiden Vorträge sind die einzi- gen Momente während der Aufführung, in denen eine einzelne Person Text vorträgt, den sie selbst verfasst hat. Es tritt hier klar ein Individuum auf, das Autor eines Textes ist, den es vor Publikum vorträgt. Interessanterweise ist es jedoch so, dass diese beiden Momente der Konzen- tration auf einen singulären Autor, die Autorschaft jeweils an sich auf eine Art vorführen, die wiederum im Kontext der Gesamtmontage verfremdend wirkt und den Begriff der Autorschaft dadurch kritisch beleuchtet. Das Hineingeschnittene der Vorträge festigt die kritische Haltung der Montage von Patrick Frank gegenüber einer singulären Position, eines singulären Autorenindividuums.
„Eine Verschleierung, Relativierung, Infragestellung oder gar Subvertierung der Autorschaft wird vielerorts weiterhin sowohl von den Rezipienten, den Auftragsgebern [sic!] als auch von den ausführenden Künstlern abgelehnt. Individualität ist per Definition (lat. Ungeteiltheit) unteilbar.“ (38)
Vor und nach den Vorträgen steht die Montage: die Vorträge platzieren sich sozusagen in eine zuvor von Patrick Frank als solche montierte und kalkulierte Lücke. Der Vortrag selbst wird zwar von seinem Autor präsentiert, doch ist dieser nicht der Autor der Montage, was in dem Moment des individuellen Auftritts auf die Bühne, besonders auffällig wird. Das Installieren des singulären Autors streicht sich in derselben Geste selbst durch.
Es teilt sich hier etwas, das gemeinhin als unteilbar gedacht wird: speziell in dem Moment des Auftritts eines individuell vortragenden Bärfuss oder Žižek, sehen die Betrachter wie sich hier etwas aufsplittert in ein schillerndes Bild: Die Tatsache, dass selbst diese, in sich geschlossenen Vorträge, ebenfalls auf Patrick Franks Rechnung so im Gesamtarrangement der Montage platziert wurden, fällt auf und thematisiert damit den Begriff von Autorschaft ganz konkret und kritisch. Gerade die Ruhe und Konzentration der Vorträge befremdet durch den starken Kontrast zu dem davor und danach Geschehenden. Die Inszenierung des Auftritts des Autoren-Individuums in dieser monströsen Montage verfremdet den Begriff der Autorschaft an sich indem der Autor als bekannte Figur hier befremdlich wirkt – mit den Mitteln der Kunst wird hier ein kritischer Blick, im Sinne Didi-Hubermans ermöglicht. (39) Im Vordergrund von Freiheit 2 steht somit kein singulärer Autor, sondern ein riesenhaftes Bild, das vielfältig Position um den Begriff der Freiheit herum bezieht.
4. Fazit und Ausblick
Abschließend lässt sich feststellen, dass selbst eine Montage von solch monströsem Ausmaß wie die Theorieoper Freiheit 2, sich auf produktive Weise anhand von Didi-Hubermans Theorie untersuchen lässt. Die eingangs formulierte These wurde überprüft und hat sich in allen Teilen als haltbar erwiesen: Die Theorieoper von Patrick Frank demonstriert ihre eigene Montiertheit und inszeniert Kritik durch Verfremdung. Außerdem setzt sie sich als offene Montage offensiv der kritischen Betrachtung durch den Zuschauer aus. Auch die Begriffe Produktivkraft und Autorschaft wurden genauer untersucht und mit Blick auf die These als Teil der Montage, Mittel der Kritik und zugleich Ziel der Kritik herausge- arbeitet. Die Elemente, aus der die Theorieoper montiert ist, „[…] konstituieren sich nicht als Diskurs, sie ergreifen nicht Partei, sondern sie beziehen Position.“ (40) Und wie bereits eingangs festgestellt, ist diese Position eine schwierige, mehrschichtige und vielstimmige. Selbstverständlich konnte lediglich ein Bruchteil dieser vierstündigen, in mehreren Räumen stattfindenden und äußerst dichten Aufführung untersucht werden. Auch die Gattung der Oper an sich, konnte nicht weiter als Begriff mit der Analyse verknüpft werden. Dass nämlich gerade die Form der Oper für dieses Beispiel einer Kritik durch Montage gewählt wurde, wäre mit Blick auf die Historie äußerst interessant und würde eine weitere Arbeit füllen. Hier soll dieser Aspekt als Ausblick dienen: So wurde die Oper in ihren Anfängen unter anderem in Werken Voltaires als Monster beschrieben und für ihre Zusammengesetztheit und ihren überbordenden Charakter verachtet: „Die Oper würde mir vielleicht besser zusagen, wenn man nicht das Geheimnis entdeckt hätte, daraus ein Monstrum zu machen, das mir widerstrebt.“ (41) Die Verwendung des Begriffs des Monsters erscheint mir als Ausblick und Abschluss dieser Arbeit ein entgegenkommender Terminus. Das Monster zeichnet sich als Wesen nämlich unter anderem durch seine Gefräßigkeit aus. (42) Dass gerade das Neuzusammensetzen unterschiedlichster Produktionsbereiche zu diesem Schema passt, liegt nahe. Dass aber auch die vorliegende Arbeit, sich dieser Gefräßigkeit nicht entziehen kann, ist vielleicht zum Abschluss interessant: Die nächste und dritte Version der Theorieoper, die im September 2016 in Genf zur Aufführung kommen soll, wird nämlich versuchen, alles an Textmaterial zu integrieren, was über die Theorieoper bis dahin geschrieben wurde. Auch die Autorin der vorliegenden Arbeit hat eingewilligt, dass dieser Text für die Version 3 verwendet werden darf.
Fussnoten:
(21) Frank, Patrick: Programmheft. Freiheit – die eutopische Gesellschaft. Version 2. Von der Utopie in die Eutopie. Von der Objektivierung der Quantitäten und der Relativierung der Qualitäten. Eine Theorieoper und Kuratorenkomposition von Patrick Frank, im Auftrag der Donaueschinger Musiktage 2015/ SWR2. 13.02.2016, 19 Uhr. KEINE DISZIPLIN 2016. Gessnerallee Zürich. S. 7. Die Autorin der vorliegenden Arbeit, hat diese Aufführung vom 13.02.2016 besucht.
(22) Ebd., S. 14. Der komplette Text ist im Programmheft abgedruckt. Das Publikum kann also jederzeit mitlesen.
(23) Vergleiche hierzu auch: Frank, Patrick: http://www.lawofquality.com/ [1.4.2016].
(24) Zum besseren Lesefluss wird der Titel der Oper im weiteren Verlauf der Arbeit mit Freiheit 2 abgekürzt.
(25) Didi-Huberman bespricht mit Bezug auf Walter Benjamin die Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen Brecht und Eisenstein. Kommt anders als Benjamin jedoch zu dem Schluss, dass es wenig Sinn mache, von zwei völlig verschiede- nen Montage-Techniken (Brecht = Verfremdung vs. Eisenstein = Pathos) zu sprechen: vielmehr betont er, dass Eisen- steins Montagen Verfremdungsmomente und Brechts Momente des Pathos aufweisen. Vgl. hierzu: Didi-Huberman: Wenn die Bilder Position beziehen, S. 97 ff.
(26) Selbstverständlich ist diese Beobachtung aus der theaterwissenschaftlich geprägten Perspektive der Autorin entstanden. Vgl. Eisenstein, Sergej M.: „Die Vertikalmontage (1940-41), in: Ders.: Jenseits der Einstellung. Schriften zur Filmtheorie, hg. v. Felix Lenz und Helmut H. Diedrichs. Frankfurt am Main 2005, S. 266-269.
(27) Vgl. Seite 8 der vorliegenden Arbeit.
(28) Frank: Programmheft, S. 14.
(29) Didi-Huberman: Wenn die Bilder Position beziehen, S. 79.
(30) Vgl. Seite 10 der vorliegenden Arbeit.
(31) Frank, Patrick: „Das Projekt Freiheit – die eutopische Gesellschaft. Über Autorschaft und Kuratorenkomposition“, S.2 des PDF Skripts für die Veröffentlichung. Wurde veröffentlicht in: Positionen. Texte zur aktuellen Musik. Heft 104. Mühlenbeck 2015. Der Text wurde der Autorin der vorliegenden Arbeit von Patrick Frank als PDF zur Verfügung gestellt.
(32) Frank: Programmheft, S. 14.
(33) Frank: Programmheft, S. 14.
(34) Frank: Über Autorschaft und Kuratorenkomposition, S.2.
(35) Didi-Huberman: Wenn die Bilder Position beziehen, S. 80. Vergleiche Seite 8 der vorliegenden Arbeit.
(36) Frank: Über Autorschaft und Kuratorenkomposition, S.2.
(37) Die Gastvorträge wurden bei der ersten Aufführung (der Version 1) in Donaueschingen am 17.10.2015 von anderen Autoren bzw. Referenten gehalten. Vgl.: http://www.patrickfrank.ch/site/index.php?/projekte/projekt-freiheit/ [3.4.2016]. Es ist vorgesehen, dass für jede Version von Freiheit neue Autoren für die beiden Gastvorträge gewonnen werden. Die beiden Komponisten Trond Reinholdtsen und Martin Schüttler haben jedoch sowohl in Version 1 wie auch in Version 2 der Theorieoper gewirkt.
(38) Frank: Über Autorschaft und Kuratorenkomposition, S. 4.
(39) Didi-Huberman: Wenn die Bilder Position beziehen, S. 81.
(40) Ebd., S 139.
(41) Zitat aus Candide von Voltaire: Voltaire, François-Marie Arouet: Die Romane und Erzählungen, Potsdam 1920, Bd. 1, S. 298. Zitiert nach: Gess, Nicola: „Oper des Monströsen – Monströse Oper. Zur Metapher des Monströsen in der fran- zösischen Opernästhetik des 18. Jahrhunderts“, in: Achim Geisenhanslüke, Georg Mein (Hg.): Monströse Ordnungen. Zur Typologie und Ästhetik des Anormalen. Bielefeld 2009, S. 655.
(42) Vgl. hierzu: Niehaus, Michael: „Das verantwortliche Monster“, in: Geisenhanslüke: Monströse Ordnungen, S. 81-102, im Speziellen: S. 87.