im Auftrag von Wien Modern
für Ensemble und Redner (an der UA sprach Frank selbst).
23.11.2016, Berio Saal, Wiener Konzerthaus.
Ensemble PHACE unter der Leitung von Joseph Trafton.
Werkimmanenter Text:
Der Text antwortet im Werk auf die Festivalfragen, die im Vorfeld an alle Komponisten versandt wurden. Diese lauteten:
Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und wo zum Teufel sind wir hir überhaupt?
Die Presse in Wien hat moniert, dass Text gesprochen wurde, gar politischer Text. Da stellt sich die Frage, weshalb ein Festival Fragen verschickt, ob diese nur pro forma, nicht wirklich ernst gemeint, zu verstehen sind?
(I)
Ende
der
Musik
Ende
der
Utopien
Ende
der
Geschichte
Ende
der
Zukunft
Ende
der
Meta‐Erzählungen
Ende
der
letzten
Fragen?
Sie
kennen
alles.
Und
weil
sie
alles
kennen,
weil
sie
alles
wissen,
weil
sie
alles
gehört und
gesehen
haben,
überall
waren,
in
alles
gebohrt,
geschaut,
gegraben,
geflogen
und
gewachsen
sind,
haben
sie
auch
keine
Fragen
mehr.
Wien Modern
Moderne also. Das Festival Wien Modern kümmert sich demnach um das Erbe der Moderne und der Aufklärung.
Es war eine Zeit der Utopien. Die demokratische Linke und Rechte formierten sich und beide kämpften für die Ideale der Moderne – Freiheit und Gleichheit. Eine Zeit, als der Nationalstaat eine liberale Idee war. Kann man sich kaum noch vorstellen. Die Idee des Nationalstaates ist längst zu einem konservativ‐reaktionär en Wert geworden. So wie alle liberalen Ideen irgendwann konservativ‐reaktionär umgedeutet werden. Freiheit reaktionär umdeuten: mit Freiheit gegen Freiheit kämpfen.
Und es war die Zeit der Säkularisierung: Gott, dieses schwammige Bild eines unbestimmten Dings, trotz zahlreicher Gottesbeweise nie bewiesen, sollte nun endgültig abtreten. Die Vernunft übernimmt! Und mit ihr die Rationalisierung und die Verwissenschaftlichung. Schon 1789 hiess es: Wir schaffen das! Wir kriegen das hin, unsere Vernunft ist uns Werkzeug genug, wir brauchen keinen Gott! Und wenn selbst bei Nietzsche steht: ‚Gott ist tot, und ihr habt ihn getötet’, dann sind wohl alle der Säkularisierung auf den Leim gegangen.
(II)
Gott im Zeugenschutzprogramm
Gott sah auf den blauen Planeten hinab und erkannte, dass er etwas gegen die Horden aufmüpfiger Revoluzzer, die sich bald ‚Aufklärer’ nannten, unternehmen musste. Nicht etwa Erdbeben, Vulkanausbrüche oder die Sintflut waren die geeigneten Mittel gegen sie, sondern ein Zeugenschutzprogramm mit dem Decknamen: Säkularisierung. Gott nahm eine neue Identität an und hörte fortan nicht mehr auf den Namen ‚Gott’. Gott wechselte seinen Wohnort, verschwand vom Himmel und liess stattdessen seine Stellvertreter auf die Erde nieder. Gottes Zeugenschutzprogramm war perfekt in den Alltag der Menschen eingebettet, niemand schöpfte Verdacht. Die Modernen waren beseelt von ihrer aufgeklärten Vernunft. Sie liessen sich leicht von Dampfmaschinen, Transistoren und höherem Wohnkomfort blenden und glaubten an die Berechenbarkeit der Welt. Da Gott sah, dass die Menschen ihre Gesellschaft demokratisch organisierten, schickte er für jeden gesellschaftlichen Bereich eigene Stellvertreter. In den Künsten hiessen sie ‚Genies’: leibhaft gewordene Menschengötter. Für die Musikkunst sandte Gott Herrn Mozart, unseren Jesus der Musik. Er wurde von Herrn Beethoven, unseren Paulus der Musik, und Herrn Bach, unseren Petrus der Musik, flankiert. Und so wurden die Modernen vom menschlichen Anlitz der göttlichen Repräsentanten verführt, wähnten sich aufgeklärt und gottbefreit. Gottes Zeugenschutzprogramm hat Epochen, Revolutionen und Kriege überdauert. Ja, selbst als die Modernen die ‚Dialektik der Aufklärung’ erkannten, wirkte das Zeugenschutzprogramm unvermindert fort.
Erst als die ‚Postmoderne’ ausgerufen wurde, überlegte Gott sein Programm einzustellen. ‚Nun sind sie wieder in den vormodernen Zustand zurückversetzt’, dachte er zufrieden, ‚aber sie wissen es nicht’.
(III)
In
den
zoologischen
Gärten
der
Irrationalität.
Von der Metaphysik zur Physik, oder: der Versuch, Unbestimmbares zu bestimmen. Die Methode: Quantifizierung.
Die letzten Fragen waren das Einsatzgebiet der Metaphysik und der Eschatologie. Beide kamen im Zuge der Vernunftgläubigkeit unter die Räder. Es gibt also noch eine Frage, die hinter den letzten Fragen steht:
Wollen wir uns überhaupt mit den letzten Fragen auseinandersetzen?
Unnötig! Die Frage können wir getrost wegrationalisieren.
Der Rausschmiss der Metaphysik aus dem Hoheitsgebiet der Wissenschaften, die Immanuel Kant so folgenreich getroffen hatte, geriet in der langen Zeit, die seither verstrichen ist, zur Norm: Da ist einerseits die positiv gewertete Physik und all das, was sich mittels des rationalen Beweisverfahrens erfassen lässt. Beispielsweise die Naturwissenschaften, der moderne Kapitalismus und seine postmoderne, neoliberale Radikalisierung. Und da ist andererseits die negativ gewertete Metaphysik, deren Themen und Gegenstände weder falsifizierbar noch verifizierbar sind. Zur Metaphysik gesellen sich die Religionen, deren Verkündungen nicht belegbar sind – man muss an sie glauben. Aber auch die Künste sitzen in der Falle der Quantifizierung. Nichts liegt ihnen ferner als beweisbar zu sein. Im Vergleich zur Rationalität der Naturwissenschaften und des Kapitalismus sind die Künste, die Religionen, die Metaphysik, selbst die Geisteswissenschaften, irrational. Museen, Konzert‐ und Theaterhäuser: das sind unsere zoologischen Gärten der Irrationalität. Hier wird domestizierte Irrationalität vorgeführt. In den gut ausgestatteten, grosszügig bemessenen Irrationalitätskäfigen dürfen die talentiertesten Irrationalen ihre Kunststücke vortragen. Und welch exotische Tiere da zu entdecken s ind! Papageie, Pinguine, Löwen, Elefanten… Publikumsmagneten bleiben hingegen die Schimpansen: wie ähnlich sie doch den Rationalen sind, bald sieht man sie mit Algorithmen komponieren! In den Förderprogrammen der Künste werden die verheissungsvollsten Nachwuchsirrationalen behutsam herangezüchtet. Dass sich auch künftig die quantitative Moral mit der Pflege der geordneten Irrationalität schmücken kann.
Das Subjekt schlägt zurück.
Setzt das Subjekt frei! Lasst es sich individualisieren, sich verwirklichen, denn dann wissen wir, wer wir sind.
Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Und wo zum Teufel sind wir hir überhaupt?
Die quantitative Moral:…will freiwillig auf Zahlen und Fakten reduziert sein, um ihre Moralität zu verschleiern.
Qualitäten sind jedoch nicht verschwunden, sie sind im Gegenteil explodiert: ins Private. Und von dort pervertieren sie die alte Aufforderung Kant’s, ‚sich seines eigenen Verstandes zu bedienen’. Blüte der Verschwörungstheoretiker, drapiert als kritisches Bewusstsein.
Können wir ein Siegel auf Ideen setzen, sie festnageln, kontrollieren, zum Verschwinden bringen?
Jean
Baudrillard
schrieb
einmal:
‚Alles
was
verschwindet
infiltriert
unser
Leben
in
kleinsten
Dosen
die
oftmals
gefährlicher
sind
als
die
sichtbare
Instanz,
die
uns
beherrschte.’
Und, was ist verschwunden?
Sartre:
Der
Tod
kommt
in
meinem
Leben
nicht
vor. Verschwunden
sind
Sinnangebote,
die
den
Verlust
der
grossen
religiösen
und
weltlichen
Meta‐Erzählungen
kompensieren.
Die
in
den
zoologischen
Gärten
der
Irrationalität
Vorgetragenen
können
sie
nicht
ersetzen.
Die
neuen
grossen
Erzählungen
werden
von
Subjekten
geschrieben,
die
sich
demokratisch
preisen,
aber
totalitär
handeln:
die
sogenannt
‚gelenkten
Demokratien’
der
Neo‐Totalitaristen.
Sie
zeigen
der
quantitativen
Moral
den
Mittelfinger
und
brüsten
sich
stolz
post‐faktisch. Verschwunden
ist
die
Linke,
von
ehemaligen
Erfolgen
paralisiert,
nostalgisch,
in
unheilvoller
Zweckehe
mit
Der
Tod
kommt
in
unserem Leben
nicht
vor.
Woher kommen wir? …aus einer Welt, in der das Irrationale das Rationale und die Metaphysik die Physik war.
Wohin gehen wir? …in eine neo‐metaphysische Welt, in der eindeutig zwischen gut und böse unterschieden wird und die Staatsmacht ihre sichtbar unterdrückende Gewalt wieder gewinnt. Der Pluralismus wird bekämpft, die Komplexität der Welt reduziert: Kultur als ohne Nachdenken auskommendes Apple‐Produkt.
Und – wo zum Teufel sind wir hier überhaupt? … in einem der vielen zoologischen Gärten der Irrationalität. Und hier sind wir glückliche, stumme Zeugen.